Hochschule Trier

Vier Fragen an Dr. Anuprita Kanitkar, Internationale Forscherin | International Research Sabbatical „House of Professors“

Dr. Anuprita Kanitkar ist von September 2023 bis Februar 2024 als Gastforscherin an unserer Hochschule tätig und forscht in der Fachrichtung Therapiewissenschaften zum Thema "Computerspielbasierte Rehabilitation".

1. Was hat Sie dazu bewogen, ein International Researchers’ Sabbatical an der Hochschule Trier zu machen?

Ich komme ursprünglich aus Indien und habe meinen Master und meinen Doktortitel in Therapiewissenschaften an der Universität von Manitoba in Kanada erworben, wo ich auch als Postdoc gearbeitet habe. Während meiner Zeit an der Universität waren mein Chef, Tony Szturm, und ich bestrebt, eine internationale Forschungskooperation aufzubauen. Unsere Bemühungen führten dazu, dass wir an einer Konferenz zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kanada teilnahmen, wo wir Prof. Dr. Sven Karstens kennenlernten. Ich wollte schon seit einiger Zeit ins Ausland gehen, vor allem, um dort Forschung zu betreiben, die meinen Interessen entspricht. Als sich die Gelegenheit für ein internationales Forschungssabbatical an der Hochschule Trier ergab, bot Sven mir dieses an, und so kam ich zum ersten Mal nach Europa und Deutschland.

In Indien beginnt die berufliche Spezialisierung oft schon in einem frühen Stadium des Lebens. Ich erinnere mich, wie ich während meiner Schulzeit mit meinen Eltern an unserem Esstisch saß und eine Vielzahl von Schulbroschüren durchblätterte, um über die verschiedenen Wege nachzudenken, die ich einschlagen könnte. Bei der Erkundung aller Möglichkeiten wurde mir recht schnell klar, dass meine Leidenschaft den Gesundheitswissenschaften galt. Schließlich entschied ich mich für Physiotherapie, denn ein Studium der Allgemeinmedizin bedeutete für mich "studieren, bis man 36 ist". Und jetzt bin ich hier, schließe meine Promotion 2021 ab und studiere mit 36 Jahren immer noch [lacht].

Ein Aspekt meines Berufs, den ich besonders schätze, ist die kontinuierliche Zusammenarbeit mit meinen Patienten. Im Gegensatz zum typischen Szenario bei Ärzten, wo man sie besucht, Medikamente erhält und sie vielleicht monatelang nicht wiedersieht, erlaubt mir meine Rolle als Physiotherapeutin, regelmäßig mit meinen Patienten zu interagieren. Durch diesen ständigen Kontakt kann ich sehen, welchen konkreten Einfluss ich auf ihr Leben habe, und es fördert die Entwicklung echter Beziehungen.

Während dieses sechsmonatigen Sabbaticals konnte ich nicht nur eine Pilot-Bewertungssoftware für Patienten entwickeln, die im klinischen Umfeld eingesetzt werden kann, sondern auch das Behandlungsprotokoll mit fünf Parkinson-Patienten in einem achtwöchigen Behandlungsprogramm testen. Ziel unserer Studie ist es, eine Software zu entwickeln, die es Physiotherapeuten ermöglicht, den Zustand und die Fortschritte ihrer Patienten remote zu überwachen. Sie können einige Tests von zu Hause aus durchführen, und wir erhalten einen Bericht direkt in unsere Mailbox. In der nächsten Phase unserer Forschung wollen wir die Wirksamkeit der Software-Bewertungen evaluieren, zum Beispiel bei der Analyse der kognitiven Fähigkeiten oder der Gehfähigkeit von Parkinson-Patienten. Außerdem wollen wir mit Hilfe der Software ein Behandlungsprotokoll implementieren, das den Patienten spezifische Anweisungen gibt und sie auf eventuelle Verbesserungen hin überwacht.

Prof. Dr. Sven Karstens war ein fantastischer Mentor, der mich in seine Kurse einbezog und es mir ermöglichte, mehrere Studierende als Mentorin zu betreuen, was meine Erfahrung weiter bereichert hat. Die Arbeit an meiner Forschung mit ihm während dieser sechs Monate war unglaublich erfüllend, da sie genau dem entspricht, was ich im Leben machen möchte. "Computerspielbasierte Rehabilitation" ist das Forschungsthema, das mir am meisten am Herzen liegt, und ich widme mich diesem Thema seit 13 Jahren. Derzeit beantragen wir bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Verlängerung unserer Projektförderung, damit wir unsere Studie fortsetzen können. Dies würde es mir ermöglichen, nach Deutschland zurückzukehren, was ich mir wünsche.

 

2. Was gefällt Ihnen besonders gut an der Hochschule Trier und an Ihrem International Researchers' Sabbatical?

Was ich an der Hochschule Trier schätze, ist die entspannte Atmosphäre, die sie bietet. Hier ist alles schnell verfügbar, und Probleme werden schnell gelöst. Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen in Kanada, wo sich bürokratische Verfahren oft wochenlang hinziehen, sind die Hochschulmitarbeitenden hier zugänglich und effizient. Das Einrichten meines Computers und meines Druckers war zum Beispiel ein Kinderspiel im Vergleich zu den umständlichen Prozessen in meiner Heimat. Bei bestimmten Verwaltungsvorgängen ist Geduld gefragt, denn sie können länger dauern als erwartet. Meiner Erfahrung nach wird jedoch alles irgendwann abgearbeitet, da das System organisiert und systematisch ist.

In Nordamerika ist die Arbeitskultur sehr intensiv. Ich habe mich oft als "Geist des dritten Stocks" wiedergefunden, der zu jeder Tages- und Nachtzeit in meinem Labor arbeitet. Hier in Deutschland hingegen schließt alles um 17 Uhr, und die Work-Life-Balance ist ausgezeichnet.

Außerdem ist das Wetter in Trier im Vergleich zu den extremen Bedingungen, die ich in Kanada erlebt habe, viel angenehmer. Monatelange Temperaturen von -40°C im Jahr können zermürbend sein. Auch die ständige Hitze in Indien, die zwischen +30°C und +40°C schwankt, ist schwer zu ertragen. Im Gegensatz dazu bietet Trier einen angenehmen Mittelweg, nie zu kalt oder zu warm. Trier ist keine große Stadt, aber ihre Größe kommt mir sehr entgegen: alles, was man braucht, ist zu Fuß erreichbar.

Obwohl ich im Gebäude T viel alleine war, hatte ich die Möglichkeit, mit den meisten Mitarbeitenden in Kontakt zu treten, die alle sehr freundlich waren. Insgesamt war meine Zeit an der Hochschule Trier und das International Researchers' Sabbatical eine Bereicherung. Die für die Forschung förderliche Umgebung und die Herzlichkeit der Mitarbeitenden haben in mir den Wunsch geweckt, meine akademische Reise hier in Deutschland fortzusetzen.

 

3. Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Unterschiede in der Gesundheitskultur zwischen Kanada, Deutschland und Indien?

Was die Gesundheitssysteme anbelangt, so haben sowohl Deutschland als auch Kanada ein ähnliches universelles Gesundheitsversorgungsmodell, allerdings mit unterschiedlichen Deckungsbeschränkungen. In Kanada beispielsweise wird ein erheblicher Teil der zusätzlichen therapeutischen Ausgaben nicht von der Staatsversicherung übernommen, sodass es den privaten Versicherungsgesellschaften überlassen bleibt, ob sie einen großen Teil dieser Kosten übernehmen oder nicht. Die Einschränkungen sind also beträchtlich und schmälern die Bedeutung des Berufs des Physiotherapeuten, da viele Behandlungen nicht durchgeführt werden können.

Ein bemerkenswerter Unterschied liegt in der Rolle der Physiotherapeuten. In Kanada, den Vereinigten Staaten und Indien sind sie als unabhängige Praktiker oder sogar Ärzte tätig, während sie in Deutschland eher als Techniker unter ärztlicher Aufsicht gesehen werden. Dies zeigt sich auch daran, dass es in Deutschland keine eigene Kammer für Physiotherapeuten gibt. Deutsche Physiotherapeuten stellen die Diagnose nicht selbst, sondern es sind die Ärzte, die entscheiden, welche Übungen die Patienten mit dem Physiotherapeuten machen. Dies schränkt die Autonomie der Therapeuten bei Behandlungsentscheidungen ein, was problematisch ist, da die Ärzte nicht immer über die nötige Ausbildung verfügen, um geeignete Übungen vorzuschlagen.

Umgekehrt ist die Finanzierung der Forschung in Deutschland reichlich vorhanden, während sie in Indien und Kanada eine Herausforderung bleibt. Jährlich werden zwischen 15 und 25 % der bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereichten Projekte gefördert, was immer noch zu wenig ist, aber im Vergleich zu Kanada, wo die Förderquote der Canadian Institutes of Health Research konstant zwischen 3 und 5 % pro Jahr liegt, sehr hoch ist. In Indien gibt es immer Möglichkeiten für die Praxis, mit einem ständigen Strom von Patienten und vielen Möglichkeiten für die Lehre an Universitäten, aber wenn man Forschung betreiben will, gibt es fast keine Finanzierung.

Eine interessante Perspektive wäre die Durchführung internationaler Verbundforschung, bei der die deutsche Finanzierung genutzt wird, um Studien mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen aus Kanada, Indien und Deutschland durchzuführen. Dieser Ansatz könnte Einblicke in die Wirksamkeit von Behandlungen bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen geben.

 

4. Welche Rolle können Ihrer Meinung nach Professor*innen und Institutionen bei der Geschlechtergleichstellung spielen und mehr Frauen und Mädchen dazu ermutigen, eine MINT-Laufbahn einzuschlagen?

Die Geschlechtergleichstellung in der MINT-Forschung ist noch nicht da, wo sie sein sollte, aber es gibt Fortschritte. Frauen finden sich oft in untergeordneten Rollen wieder, anstatt Projekte zu leiten, selbst hier in Trier, wo der Frauenanteil in der therapeutischen Forschung gering zu sein scheint.

Es gibt eine spürbare geschlechtsspezifische Diskrepanz bei den Professor*innen mit weniger Frauen als Männern in technischen Bereichen. Angesichts der überwiegenden Zahl von Frauen als Studierende in den Physiotherapieklassen ist es verwunderlich, dass die meisten Professor*innen immer noch Männer sind. Das Angebot von Stellen wie "Familienprofessuren", die es Frauen ermöglichen, Forschung und familiäre Verantwortung zu vereinbaren, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen mehr flexible Forschungsstellen mit angemessener Finanzierung.

Wichtig wäre auch, dass mehr Forschungsstellen speziell für die Erforschung frauenspezifischer Leiden und Krankheiten eingerichtet werden. Die Gesundheit von Frauen ist nicht so gut erforscht wie die Gesundheit von Männern im Allgemeinen. So wurden beispielsweise bis vor kurzem alle Studien über Herzinfarkte, Herzstillstand und Schlaganfälle nur mit männlichen Teilnehmern durchgeführt. Die Symptome können sich jedoch bei ein und derselben Erkrankung zwischen Männern und Frauen stark unterscheiden, sodass wir nicht in der Lage sind, sie zu diagnostizieren, wenn sie bei Frauen auftreten. Die Einführung einer speziellen Finanzierung für von Frauen geleitete Projekte könnte dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Auch besondere Maßnahmen während des Bewerbungsverfahrens können Frauen einen Vorteil verschaffen. In Indien beispielsweise sorgen Quoten in bestimmten Sektoren dafür, dass Frauen eingestellt werden, um den Anteil der weiblichen Arbeitskräfte zu erhöhen. Es ist von entscheidender Bedeutung, Frauen zu ermutigen, ihren Fähigkeiten zu vertrauen, und ihnen durch Einstellung und Finanzierung mehr Möglichkeiten zu bieten.

 

Das Interview führte Louise Gubanski

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