Vestimentärer Aktivismus und das Gedächtnis politischer Körperpraxis im 20. und 21. Jahrhundert

Ein Forschungsbeitrag zu einer Ästhetik des Widerstands

Austin, Texas - 14. Juli 2013: Eine afroamerikanische Frau hält Bilder von Trayvon Martin und einen Kapuzenpulli in die Luft während eines Protests als Reaktion auf den Freispruch von George Zimmerman im Mordprozess gegen Trayvon Martin. Foto: iStock

Die Erörterung der politischen Dimension der Kleidung braucht dringend neue Perspektivierungen und neue Definitionen. Diese Aussage überrascht, denn Kleidung als politisches Statement ist in der Geschichtsschreibung der Mode [1] verbürgt, vornehmlich als vestimentäre Figuration des Homogenen, der kollektiven Verbundenheit im gemeinschaftlichen, v.a. im politischen Handeln.

Seit der Französischen Revolution, namentlich den Sansculotten, stellt die vestimentäre Inszenierung eine äußerst wichtige Mobilisierungsressource für den politischen Protest dar und bildet eine Basis für kollektive Protest-Identität. Kleidung hat eine immens hohe soziokulturelle und politisch-partizipative Funktion im Rahmen von Demonstrationen, Protesten, Performances sowie Happenings als materielles und visuelles Mittel der politischen Auseinandersetzung und der symbolischen Politik. Seit einigen Jahren ist eine absolute Zunahme dieser politisch motivierten vestimentären Praxis zu verzeichnen: So marschierten bspw. am 21. März 2012 tausende Demonstranten gekleidet in Kapuzensweatshirts (Hoodies) im sogenannten „Million Hoodie March“ gegen Rassismus und Selbstjustiz durch die Straßen Manhattans. Auslöser war die Erschießung des 17-jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin, der einen Hoodie trug als ihn ein „selbsternannter Nachbarschaftswächter“ irrtümlich für einen Einbrecher hielt und ihn erschoss. Ein TV-Moderator machte den Kapuzenpulli „mindestens ebenso sehr für den Tod von Trayvon Martin verantwortlich wie (…)“ [2] den Täter. Dieses Beispiel zeigt, dass das Tragen eines Hoodies – selbstredend in Verbindung mit anderen in westlichen Gesellschaftsordnungen negativ konnotierten äußeren Merkmalen, wie bspw. der Hautfarbe, im speziellen situativen Rahmen dazu beitragen kann, als kriminelle Person wahrgenommen zu werden. Die Demonstranten machten auf diese stereotype Konnotation des Kleidungsstücks aufmerksam, indem sie den Hoodie als Zeichen ihres Protestes gegen den Freispruch des Täters und in der Konsequenz gegen Rassismus trugen. [3]    

Immer öfter werden, wie bei Protestaktionen, ‚Kleidungszeichen‘ (spezifische Kleidungsstücke, Accessoires, Textilien in bestimmten Farben, bspw. rosafarbene Mützen beim „Women‘s March“ 2017 etc.) als Symbol einer gemeinsamen Meinungsäußerung eingesetzt.

Das Forschungsprojekt geht davon aus, dass Kleidung und ihr Gebrauch eine über die Mode hinausgehende soziokulturelle Relevanz und vor allem in den letzten Jahren einen zunehmenden Stellenwert im Rahmen von Protestkultur besitzt. Dieser Aspekt wurde bislang lediglich in vereinzelten Studien, u.a. zur vestimentären Praxis verschiedener politischer und subkultureller Bewegungen, zu speziellen Kleidungsstücken und Textilien, zu Habituisierungen (Frisuren etc.), im Rahmen von Untersuchungen zur Protestkultur dargelegt (u.a Hebdige 1979 [4]/ Doresthal 2012 [5]/ Hopf 2007 [6]/ Tulloch 2019 [7]), aber noch nicht - wie es hier das Ziel dieses Forschungsvorhabens ist -, systematisch mit dem Fokus auf die Performativität des vestimentär-ästhetischen Widerstands untersucht, erörtert und in einer Publikation dargelegt.

 

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[1] Zu der vorliegenden Verwendung der oft ineinander fließenden Begriffe Kleidung und Mode möchten wir hier zusammenfassend präzisieren, dass wir Kleidung allgemein als System von Dingen und Zeichen verstehen, deren Gebrauch kulturellen Praxen eingeschrieben ist, während wir unter dem Begriff ‚Mode‘ die zeitlichen, stilistisch-formalen und medial vermittelten Phänomene des Wandels in unterschiedlichen soziokulturellen Zusammenhängen, darunter der Kleidung, subsumieren.

[2] spiegel online: https://www.spiegel.de/fotostrecke/million-hoodie-march-trayvon-martin-fotostrecke-81379.html, abgerufen am 11.3.2020.

[3] In Folge des gerichtlichen Freispruchs des Täters gründete sich 2013 die Black Lives Matter Protestbewegung in den USA.

[4] Hebdige, Dick: Subculture: The Meaning of Style. London 1979.

[5] Doresthal, Philipp: Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943-1975. Bielefeld 2012.

[6] Hopf, Iris: Uniformierung als Ausdruck revolutionärer Askese: Chinesische Kleidung in der Kulturrevolution 1966 – 1977. In: Uniformierungenin Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade. Münster 2007, S. 241–256.

[7] Tulloch, Carol: The Everyday Activist Wardrobe of the Black Panther Party and Rock Against Racism Movement. In: Fashion and Politics. Ed. By Djurdja Bartlett. London 2019, S. 85–123.

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