Idar-Oberstein schmückt sich:

Steinbilder - Dieter Lorenz und Bernd Munsteiner

13. August – 10. Oktober 2021 in der Villa Bengel

„Edelsteine“ werden heute zumeist zu Schmuck oder zu Gemmen bearbeitet. Meister der italienischen Renaissance komponierten aus Hartstein-Elementen (“pietre dure“) auch beeindruckende Bilder.

In dieser Tradition haben Dieter Lorenz und Bernd Munsteiner in den letzten Jahren eine Vielzahl abstrakter Werke geschaffen, die erstmals gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Beide verfolgen völlige unterschiedliche künstlerische Ziele: Während Munsteiner, wie bereits in seinem plastischen Werk, nun auch im zweidimensionalen Bild das natürliche Ornament des Kristalls als Material von Kunst entdeckt, spiegeln Lorenz‘ farbenfrohe Abstraktionen zwischen Design und konzeptualer Kunst den Zeitgeist des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

 

Eröffnungsrede

Wilhelm Lindemann

Nicht neu ist, dass in den Ausstellungen in der Villa Bengel im Schmuck Edelsteine eine Rolle spielen. Zweifellos ist aber die heutige Vernissage der Auftakt zu einer echten Premiere. Nicht nur weil es sich um die erste handelt, bei der überwiegend Bilder gezeigt werden und diese zudem auch noch aus sogenannten Edelsteinen als Werkstoff gestaltet wurden. Vermutlich ist es sogar überhaupt die erste Bilder-Ausstellung, die im Sinne eines modernen Kunstverständnisses aus Steinen geschaffen wurden.

Wenn man von den antiken Mosaiken absieht, ist das hier zu sehende künstlerische Genre mehr als ein halbes Jahrtausend alt: Die Verarbeitungstechnik edler Steine zu Bildern oder prächtigen Intarsien von Gebrauchsgegenständen wurde im 16. und 17. Jh. in den Florentiner großherzoglichen Werkstätten unter der Bezeichnung „Commesso di pietre dure“ zu höchster Kunst entfaltet, die nach dem Untergang der Florentiner und Prager Schule von den neuzeitlichen Epigonen in der Regel nur als schwacher Abklatsch am Rande des Kitsches imitiert wurden. 

Während die im 19. Jh. in Mode kommenden Landschaftsachate durch die suggestive Kraft ihrer natürlichen bildhaften Strukturen durchaus romantische Träumereien zu inspirieren vermochten, erlebte die Kunst des Commesso erst in den 1960er/70er Jahren im Frühwerk von Bernd Munsteiner, seinen damaligen Achatbildern, ihre neuzeitliche Blüte.  Munsteiner zeigte als erster mit seinen abstrakten Bildern aus Achaten, dass das Genre mit dem Ende der italienischen Fürstenhöfe in der Spätrenaissance und dem Barock noch nicht seinen künstlerischen Zenit erreicht und zum Abschluss ihrer gestalterischen Möglichkeiten gekommen war. Munsteiner verfolgte diesen Weg allerdings   über Jahrzehnte nicht weiter und wandte sich vor allen der skulpturalen Bearbeitung transparenter Steine zu in einem Lebenswerk, das die Gestaltung von Edelsteinen im globalen Maßstab beeinflussen sollte. Erst vor etwas mehr als einem halben Jahrzehnt kehrte Munsteiner im Kontext der Arbeit an zwei Kirchenfenstern – einer Gemeinschaftsarbeit mit seinem Sohn Tom für die ev. Gemeindekirche in Stipshausen - zu seinen Anfängen mit den Achatbildern zurück. Zwei dieser Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Munsteiners frühe Achatbilder könnte man als eine Transformation der romantischen Idee des Landschaftsachats in die Abstraktion verstehen, in der das Bild zum Assoziieren verleitet und damit sich für den Betrachter in eine Projektionsfläche der eigenen Psyche anbietet, die jüngste, hier ausgestellte Werkgruppe spiegelt Munsteiners Lebenswerk – und damit einen Jahrzehnte währenden praktischen und auch theoretischen Prozess der Auseinandersetzung  mit dem Kristall. Das Grundelement bildet in Anlehnung an die „Platonischen Körper“ sind winzige gleichschenklig-rechtwinklige Dreiecke aus Achaten vor allem, aber auch aus einer Vielzahl anderer Steine, die als Commesso zusammengefügt, einerseits eine strenge formale Textur bilden, die symbolische die kristalline Gitterstruktur formieren, aber andererseits auch das kontrastierende formale Gerüst zum dynamischen Wechselspiel von Munsteiners Bildkomposition bilden. Munsteiner erschließt damit einerseits mit der Sprache der Kunst einen Blick auf eine Natur, die sich andererseits dem Betrachter in ihrem besten Schmuck als Kunstwerk der Natur präsentiert. Munsteiner vollzieht damit einen geistigen Wandel im Verhältnis des Künstlers zur Natur: Bei ihm ist Kunst grundsätzlich nicht mehr die Überwindung und Domestizierung von Natur durch ihre Transformation zum Kunstwerk, sondern tritt in der Kunst gewissermaßen in einer Partnerrolle aktiv auf.

Auch wenn das Bernd Munsteiner vielleicht etwas peinlich ist, reihe ich ihn mit dieser künstlerischen Strategie in den Reihen der aktuellen Kunstavantgarde ein – selbst wenn diese Bilder in formaler Hinsicht auf den ersten Blick etwas von der klassischen Moderne haben.  Geradezu revolutionär ist nämlich Munsteiners völlig gewandeltes Verhältnis zu den Gegenständen der Natur, die für ihn nicht mehr als  passive, zu bearbeitende Objekte des Künstlers entgegen treten, sondern als begehrte und verehrte Partner im künstlerischen Prozess – einer Position,, die man in der Begrifflichkeit der zeitgenössischen ökologischen Philosophie beispielsweise eines Bruno Latours als Aktanten verstehen würde, Akteure einer Natur, die zum Partner des Menschen geworden ist,  In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass Bernd Munsteiner bereits in den 1960er Jahren  sich von Facettenschliff, den er als gelernter Edelsteinschleifer als eine gewaltsame technische Aneignung eines Naturgegenstandes verstand, abwendete, vor Erfindung der grünen Bewegung. Und dem „Club of Rome“. Wenn ich damit der künstlerischen Arbeit von Bernd Munsteiner eine politische Deutung gebe, muss ich mit Nachdruck hinzufügen, dass er keinesfalls ein politischer Wellenreiter ist, der auf eine Mode springt.  Seine Haltung zur Natur und zum Stein ist mit der gleichtönigen Haltung und Ehrfurcht des Steinschleifers ihm ansozialisiert und damit Teil einer grundlegenden Demut in Anbetracht einer allgegenwärtigen kosmischen Natur

Angeregt von Munsteiners Rückwendung zum Bild wandte Dieter Lorenz sich nach der krankheitsbedingten Schließung seiner Firma um 2017 dem Wandbild zu. Hinter sich hatte er zu diesem Zeitpunkt eine international beachtete Karriere als Gestalter zumeist abstrakter Miniatur-Skulpturen, die entweder als Sammler-Objekte oder als Schmuck-Elemente geliebt wurden.

Auf den ersten Blick scheint Dieter Lorenz sehr viel leichtfüßiger, ja fast übermütig spielerisch mit dem Material Stein umzugehen. Er scheint, wie bereits in seinem plastischen Werk aus der Produktion von „Lorenz-Design“ auf alle Prinzipien der Edelsteinbranche konsequent zu pfeifen.  So pfeift er nach dem Motto „Das Werk adelt das Material“ nicht nur auf „teure“ luzide Steine, optische Schliffeffekte oder „Lupenreinheit“; zumeist pfeift er sogar auf die „Echtheit“ des Materials selbst, indem er sich für nach uralten Rezepten in kräftigen Farben einher kommende Achate entscheidet. Stein ist nicht nur Naturgegenstand, sondern vor allem Kulturgut. Falsch wäre es hingegen, ihn mit Verweis auf sein Psychologie-Studium und seine erste Berufswahl als Autodidakten oder Quereinsteiner in die Edelstein-Szene zu verstehen, dessen vermeintliche handwerkliche Traditionslosigkeit diesem Umstand geschuldet sei.  Das krasse Gegenteil ist der Fall. Dieter Lorenz ist gewissermaßen in der Graveurwerkstatt seines Vaters Werner aufgewachsen, der zu den talentiertesten und innovativsten Idar-Obersteiner Graveuren seiner Epoche zählte. lorenz hatte sich bereits in den frühen 1970er Jahren aus der naturalistischen Tradition der Idar-Obersteiner Graveure verabschiedet und versucht – mit Preisen und Auszeichnungen beispielsweise für ein kinetisches Schmuckobjekt im Stile Friedrich Beckers hoch geehrt, doch ökonomisch weniger vom Glück verwöhnt – nach neuen Wegen der Gestaltung.  Dieter Lorenz erste Berufswahl war eine bewusste Entscheidung in Kenntnis und in kritischer Auseinandersetzung mit der traditionellen Edelsteingravur. Und er hatte doch auch im Zweitfach Philosophie bei Theodor W. Adorno studiert, dem Verfasser einer der einflussreichsten „Ästhetischen Theorie“ des späten 20. Jahrhunderts. Dieter Lorenz hatte   vor allem gelernt, mit offenen Augen und kritischem Blick nicht nur die relativ kleine und enge Welt der Edelsteinszene zu reflektieren, sondern vor allem auch die frischen Winde der Kunst, insbesondere die der amerikanischen Künstler der Pop-Ära zu rezipieren.

Derart ausbildungsmäßig „hochgerüstet“ ist er nach dem Tod seines Vaters die Firma übernommen und neu ausgerichtet. Betrachtet man sein zu Zeiten der Firma entstandenes Werk, muss man ihn als realistischen Träumer bezeichnen, der es verstand, seine künstlerischen Phantasien in der „kleinen Form“ der Miniatur-Plastik zu realisieren – eine Grundsatzentscheidung für die Marktlücke, die er insbesondere mit sehr raumgreifenden Kleinstplastiken wählt, die nicht nur als Sammelobjekte, sondern auch als Schmuckelemente ihren Weg machen sollten.  Sein Material war und blieb – auch in den aktuellen Bildern der in erster Linie der Achat, der preisgünstige Traditionsstein der Hunsrücker Edelsteinregion.  Wenn ich vom Achat als dem Traditionsstein in der Verbindung zu Dieter Lorenz spreche, verstehe ich darunter einerseits das Naturprodukt dieses wild und in fast manieristischer Willkür gebänderten Minerals, sondern auch den Achat als in allen möglichen Farben eingefärbtes Kulturprodukt, das bereits in den Mosaiken der römischen Antike und auch in der relativ jungen Idar-Obersteiner Edelsteingeschichte als Material der Graveure, aber auch in den industriellen Massenprodukten des 19. Und 20. Jh. eine ökonomisch tragende Rolle gespielt hat.  Dieter Lorenz bezieht sich also in seinem plastischen Werk deutlich auf diese sehr bodenständige Tradition – eine Jahrtausende alte Tradition des gefärbten Steins, die bereits zu seinen Lebzeiten mit wenigen Ausnahmen im Verschwinden begriffen war und die er als eine von der Kunst beseelte „designerische“ Praxis erneut zu beleben suchte. Es ist ein künstlerischer Ansatz, dem er am Ende seines Lebens in den hier ausgestellten Bildern Flügel verliehen hat.

Dieter Lorenz hat den Titel des Künstlers für sich nicht in Anspruch genommen. Vielmehr hat er sich völlig unprätentiös als Designer verstanden – der er nach meiner Auffassung allerdings am ehesten in einigen gegenständlichen und weniger gelungenen plastischen Arbeiten war. Auch wenn er in seinem Werk durchaus selbstbewusst eine künstlerische Sprache und seinen Stil entwickelte, hielt ihn seine Bescheidenheit und seine Ehrfurcht vor der Kunst bis zum Lebensende davon ab, sich als Künstler öffentlich zu „outen“. Erst in der Gestaltung der heute zu sehenden Bilder formuliert er als sein Testament durch sein Werk ein solches Bekenntnis.

Die Ausstellung zeigt eine Werkgruppe zweier Künstler der Edelsteinregion, deren Werk den Umgang mit dem Material Edelstein in der Gegenwartauf neue Füße gestellt und durch seine Singularität durchaus beeinflusst hat.  Dies gilt, auch wenn das Echo gerade in der Edelsteinbranche der Heimatregion, der sich beide trotz allem internationalen Erfolg verbunden fühlten, eher bescheiden blieb. Zwar handelt es sich bei den Exponaten beider Künstler um abstrakte Bilder. Doch verfolgen beiden völlig unterschiedliche und sogar kontrastierende künstlerische Ziele und Strategien. Um meine Texte in den Katalogen zur Ausstellung nicht zu doppeln – ich führe dort in zwei autonome Werke ein – will ich Ihnen kurz die unterschiedlichen Arbeitsansätze der beiden skizzieren, auch in der Hoffnung, sie für den Kauf des Doppelkatalogs zu motivieren. Bernd Munsteiners Thema ist das mineralische, kristalline Material selbst.  In seinem Lebenswerk hat er sich auf unterschiedliche Weise bemüht, zum Wesen des natürlichen Minerals und zu seiner ihm eigentümlichen ästhetischen Qualität vorzudringen. Auch wenn dies in seinen letzten Bildern nur noch in einer dreieckförmigen Textur aufscheint, verfolgt er dieses Ziel auch in den aktuellen Bildern wie bereits  in seinen Arbeiten mir transluziden Steinen. Während Munsteiner im dreidimensionalen luziden Kristall Natur als ästhetischen Erlebnisraum sichtbar macht, montiert er im zweidimensionalen Bild, in der „Kartusche“ eines dreieckigen Flächenelements, die nochmals auf sich selbst reduzierte Botschaft des Materials – und macht sie gleichzeitig durch die durch die Montage zu einem künstlerischem „commesso“ zum Element eines Tableaus, das das Ereignis des Materials dem Betrachter optisch erschließt.   Sein Projekt wendet sich gegen die verdinglichende Unterwerfung der Natur durch technische Mittel. Vielmehr bringt er Natur im Werk zum Vorschein. Bernd Munsteiners Bilder werden damit gewissermaßen zur geistigen und künstlerischen Quintessenz seines Lebenswerks, ein subtiles Zeugnis seines lebenslangen geistigen Durchdringens des Materials und seiner tradierten Bearbeitungstechniken und der gleichzeitig praktischen Dokumentation einer sich täglich aufs Neue generierenden Entdeckungsreise zum Material der Natur, zu ihrem Gegenstand durch und in der Kunst.

Während in den Bildern Munsteiners das mineralische Material als das Kunstwerk der Natur zum Ausgangspunkt künstlerischer Gestaltung genommen wird, schaffte Lorenz Kunstwerke, in denen er – außergewöhnlich souverän Steine als künstlerischen Werkstoff verwendet, und das wiederum auf eine so erfrischende Art, die völlig frei erscheint von dem hierzulande üblichen Edelsteinkult. Im Unterschied zu Munsteiner verwandelt er – durchaus im Sinne einer konventionellen Kunsttheorie – Natur in Kunst.

Ausstellungs-Rundgang

Bitte beachten Sie: Sobald Sie sich das Video ansehen, werden Informationen darüber an Youtube/Google übermittelt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Google Privacy.

Interview mit Bernd Munsteiner

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Podcast zum Download

Der Edelsteingestalter Bernd Munsteiner im Gespräch über die Faszination der Edelsteine.

LINK ZUM DIREKTEN DOWNLOAD
(ca. 60MB, 26 Minuten, in Englischer Sprache)

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog:
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