Unsere Philosophie

Die an vielen Orten seit Jahrzehnten geführte fachinterne Auseinandersetzung, was Schmuck denn sei, Handwerk, Design oder Kunst? hat im Rahmen des Bologna-Prozesses wesentlich zu einer Schärfung des Profils unserer Fachrichtung beigetragen. Es ist die zentrale Frage nach einer beruflichen Identität, an deren Beantwortung wir - als Fachgebiet und als Fachrichtung - momentan forschen. Die Neuüberlegung der Aufgabenstellung des Schmucks, so wie wir dies heute interpretieren und verstehen, führt zu einer sich fokussierenden Position, die sich u.a. definiert über eine Untersuchung der Verhältnisse zu benachbarten Bereichen:

  • Schmuck ist kein Handwerk. Mit der dortigen Zentralstellung des meisterlichen Könnens besteht zwar eine Schnittmenge - der zeitgenössische Schmuck-Fokus ist ein anderer.
  • Schmuck ist kein Design. Mit der dortigen Zentralstellung einer modischen Ästhetisierung und der erfolgreichen Vermarktung besteht zwar eine Schnittmenge - der zeitgenössische Schmuck-Fokus ist ein anderer. 
  • Schmuck ist keine freie Kunst. Mit der dortigen Zentralstellung des „aus sich heraus Existieren“ besteht zwar eine Schnittmenge - der zeitgenössische Schmuck-Fokus ist ein anderer.

Ziel ist es allerdings nicht, Abgrenzungslinien zu ziehen oder diese zu schärfen, und somit die Frage der Identität der Schmuckschaffenden lediglich im Rahmen bereits bestehender aber nicht hinreichender Kriterienkataloge anderer Fachgebiete zu überdenken. Denn wie im Schmuck, dem Handwerk und der Kunst birgt eine weitgehende Spezialisierung die Gefahr des inneren Versagens:

In einem Interview in der Zeit vom März 2008 stellt Philippe Starck fest: „Alles, was ich gestaltet habe, ist absolut unnötig. Strukturell gesehen, ist Design absolut nutzlos. () Design ist nichts. Ich habe versucht, meinen Produkten etwas Sinn und Energie zu geben. Auch wenn ich mein Bestes gegeben habe, es war sinnlos.“ [1]

Mit oben stehendem Zitat stellt Starck nicht nur seine gesamte Arbeit in Frage; Design als Quelle von Gegenständen und Produkten, die von jeder möglichen Bedeutung frei sind und daher keinen realen Beitrag zu dieser Welt darstellen, spricht er die Daseinsberechtigung ab. Diese Sichtweise ist problemlos anwendbar auf zeitgenössische Auffassungen in den verschiedenen Schmuckbereichen, in denen in den letzten 40 Jahren insgesamt eine große Entfernung von gesellschaftsbezogener, identitätsstiftender Sinnhaftigkeit, sowohl im Juweliers-, dem Mode- als auch im Künstler- oder dem sog. Autorenschmuck, erfolgt ist.

Das Ziel ist daher, einen Ansatz zu formulieren, der auch im Rahmen der neuerdings verstärkten Forderung nach Interdisziplinarität, über eine eigenständige Herangehensweise zu einem erweiterten Spektrum der Möglichkeiten führt.

Schmuck ist Angewandte Kunst

Die Ausbildung der Studierenden geschieht elementar auf einer künstlerischen Basis - hinführend auf deren gesellschaftliche Aufgabe hinsichtlich Schmücken und Schmuck. Edelstein und Schmuck braucht zusätzlich und gleichzeitig zur künstlerischen Basis die Fähigkeiten des Handwerks im Sinne einer geeigneten Perfektion und Elemente des Designs im Sinne einer zweckmäßigen Ästhetik und einer tauglichen Vermarktungsstrategie.

Zurückblickend ist es eigentlich erstaunlich, dass unsere Branche im letzten Jahrhundert in eine solche Fragestellung nach der eigenen Identität geraten und sich teilweise in sie verirren konnte, denn die Aufgabenstellung des Schmucks ist eigentlich außerordentlich deutlich. Schmuck ist nachgewiesenermaßen die älteste künstlerische Äußerung des Menschen hinsichtlich seines sozialen Bewusstseins: bereits auf den frühesten Höhlenmalereien sind Andeutungen an den Körpern zu finden, die den Schmuckbegriff im Sinne einer identitätsstiftenden Distinktion in der Gruppe aber auch deren semantischen Gegenpart - der Schmuckbegriff im Sinne einer Gruppen-/Stammeszugehörigkeit - dokumentieren. An der Stelle angelangt, sollte mithilfe zeitlicher und kultureller Perspektivwechsel in Betracht gezogen werden, welchen Platz bzw. welche Rolle diese Personen in der Gesellschaft innehatten, welches gesellschaftliche Wissen sie in sich vereinten, damit sie in der Lage waren, die Objekte, Totems, Amulette etc. aufzuladen. Für unsere Aufgabenstellung (die Gestaltung der Studiengänge) ergibt sich die daran anschließende Frage: Wie können wir mithilfe der sich aus obenstehendem Perspektivwechsel ergebenden Erkenntnissen die für unser Berufsprofil - hinsichtlich der heutigen Zeit und der globalisierten Gesellschaft - notwendigen sozial-gesellschaftlichen empathischen Kompetenzen im Studium aktivieren bzw. generieren und stimulieren?

In der modernen Gesellschaft wird die Auseinandersetzung mit der Erschaffung personaler Bedeutungsträger weitgehend Handwerk und Design überlassen. Schmuck wird daher i.d.R. unter einem unvollständigen Kriteriensatz - insbesondere inkomplett hinsichtlich der gesellschaftlichen Aufgabe des Schmucks - geschaffen, betrachtet und bewertet.

Aufgabe & Verantwortung

Als personaler Gegenstand benötigt Schmuck unbestreitbar eine gesellschaftliche - distinktive oder verbindende - Bedeutungsebene, die sich auch in den Konsumentenbedürfnissen und -erwartungen widerspiegelt. Die Fachrichtung knüpft an solche Bedeutungsebenen aktiv an und stellt in ihrer Ausbildung daher neben der bildnerisch-künstlerischen eine profunde Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, (inter)kulturellen, ethno- und soziologischen sowie historischen Fragestellungen zentral.

Die Feststellung der Schnittmengen mit Kunst, Handwerk und Design, die Fragestellung nach dem Sinn des Schmucks bzw. nach der gesellschaftlichen Aufgabe solcher personalen Gegenstände und die sich daraus ergebende Suche nach der gesellschaftlichen Verantwortung der Schmuckschaffenden bilden alle zusammen ein Wissens- und Bewusstseins-Potenzial. So ist es naheliegend, für die Suche nach Antworten, Lösungen und Ergebnissen zunächst einen eigenen (Frei-)Raum bzw. einen längst bestehenden Begriff erneut in Anspruch zu nehmen: Angewandte Kunst. Das mittels eines solchen Freiraums kreierte Selbstverständnis des eigenen Terrains bietet sodann klarere Perspektiven, die vorhin formulierte Aufgabenstellung in der modernen Gesellschaft zu aktualisieren und sinnvoll zu erfüllen.

Der Standort befindet sich in diesem Moment mitten in dieser Diskussion - die vorgelegten Studiengänge als „Fine Arts“ beantragen zu wollen, ist insofern kein Aufbruch zu neuen Ufern. Im Gegenteil, es ist eher eine Anpassung der Beschreibung des heutigen Standes der Angebote. Die fachlich-inhaltliche und personelle Entwicklung, die seit der Jahrtausendwende das Studium an der Fachrichtung Edelstein und Schmuck geprägt hat, macht eine solche Neu-Positionierung im Rahmen dieses (Re-)Akkreditierungsverfahrens erstmals möglich.

Angewandte Kunst in der Lehre

Das Wesen der Lehre findet sich in dem lateinischen Wort 'professio': Stellungnahme, Erklärung. Für Professorinnen und Professoren im Bereich Edelstein und Schmuck bedeutet das, eine Erklärung der eigenen Überzeugungen abzugeben, die für Studierende nicht unter allen Umständen leicht zu akzeptieren ist. Diese Haltung erzeugt ganz bewusst die Spannungen, die zu „entäußertem“, intrinsische Lernprozesse anregenden Lernen dazugehören, eine Reibungsfläche, die Studierende in die Lage versetzt, ihren eigenen Standort zu bestimmen bzw. sich zu positionieren und Souveränität und Autonomie zu gewinnen.

„Lehre im künstlerischen Bereich zielt nicht auf Wohlgefallen oder auf die Souveränität von Studierenden als Konsumierende von Wissen.“[2] Diese geforderte Studierhaltung führt als operatives Konzept zum strategischen Meta-Ziel der kritischen Künstlerin bzw. des kritischen Künstlers und steht heute oft auch im scheinbaren Gegensatz zur Aufgabe des Schmucks in der Gesellschaft. Diese scheinbar gegensätzlichen Phänomene - die des einerseits autark-egozentrischen und andererseits des sozial-empathischen Kunstschaffenden - gilt es zu vereinen.

Der Campus Idar-Oberstein ist solch ein Ort der Auseinandersetzung im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Bildung einerseits und wissenschaftlicher Lehre und Forschung andererseits. In den verschiedenen Studiengängen im Bereich Edelstein und Schmuck, so auch im „Gemstones and Jewellery, MFA“ wird die Möglichkeit zur künstlerisch-wissenschaftlichen Qualifikation geboten. Mit diesem Angebot besetzt die Fachrichtung dieses Feld der Angewandten Kunst und stellt sich im Rahmen der gesellschaftlichen Rolle des Schmückens ihren Aufgaben- und Fragenstellungen auf einer formal-künstlerischen und inhaltlich-gesellschaftlichen Ebene. So werden Absolventinnen und Absolventen in die Lage versetzt, aktiv nachhaltige Handlungsszenarien für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen personalen Symbolen in Form „tragbarer Objekte“ zu entwickeln.

Das Studiengangsprogramm orientiert sich an Qualifikationszielen, die fachliche und überfachliche Aspekte in den Bereichen von künstlerischer Befähigung, Befähigung zum zivilgesellschaftlichen Engagement und Persönlichkeitsentwicklung umfassen. Neben der Förderung der Fachkompetenz wird auch die Förderung der künstlerischen Fachkompetenz,  Kommunikationskompetenz, Methodenorientierung, Koordinations-, Organisations- und Moderationskompetenz hinsichtlich der künstlerischen Befähigung vorangetrieben. Zentrale Aufgabe und Leitidee der Fachrichtung ist es also, Entwurfs- und Denkstrukturen des künstlerischen Handelns orientiert an und für die gesellschaftlich-kulturellen Erfordernisse des 21. Jahrhunderts zu entwickeln und bereit zu stellen. Das auf die obenstehend spezifizierte Entfaltung der künstlerischen Identität gerichtete Lernfeld wird durch ein hochgradig interkulturelles Umfeld (Die Studierenden stammen aus etwa 20 verschiedenen Ländern) und vielfältig kommunikative Lern- und Lehrsituationen geprägt.

Identität: zur künstlerischen Verantwortung in der Gesellschaft

Die künstlerische Identität der Schmuckschaffenden kann nicht als "irgendwo in der Mitte zwischen autonomer Kunst, Design und Handwerk" definiert werden.

Mittels einer erweiterten Befähigung sollten Absolventinnen und Absolventen in die Lage versetzt worden sein, zunächst auf die unterschiedlichen Rollen der Trägerinnen und Träger, der Betrachterinnen und Betrachter sowie die der Schmuckschaffenden zu fokussieren. Es besteht Konsens, dass Kunst Fragen stellen muss in einer bestimmten notwendigen Abstraktion. Design dagegen liefert im Idealfall brauchbare und funktionierende, ästhetisch ansprechende und vergnügliche Werkzeuge. Schmuck besitzt die einzigartige Eigenart, uns in die Lage zu versetzen (als Träger oder Betrachter), eine intrinsische Verbindung zwischen unserer (sozial, ethnisch, geografisch, emotional, etc.) Herkunft und unserer momentanen Umgebung herzustellen. So entstehen Möglichkeiten, Veränderungen in unserem Umfeld wahr zu nehmen und adäquat zu reagieren.

Um dahin zu gelangen, dass das Kunstwerk dieses auslösen kann, sind andere Ebenen in der Arbeit einzubeziehen als lediglich solche, die Fragen zur Form, Farbe, Material, Produktion und Marketing stellen. Dazu werden die Studierenden in die Lage versetzt, aktiv und nachhaltig ihre sinnlichen Erfahrungen mit ihrem Denken und Handeln innerhalb der Gesellschaft zu verknüpfen. An der Stelle gilt es aber, gleichzeitig im Auge zu behalten, dass die ausschließliche Ausrichtung am eigenen künstlerischen und somit emotionalen Kompass zwar oft eine gewisse therapeutische Wirkung zeigen mag, oft jedoch am eigentlichen Arbeitsziel aus gesellschaftlicher Sicht vorbei geht und daher eher problematisch ist - ein Punkt an dem viele in den letzten Jahrzehnten ausgebildete und heute praktizierende Schmuckschaffende stolpern: wie z.B. Ted Noten es selbst-reflektierend formuliert:

 „For me it’s not the highest score if the piece is worn – in the imagination, it can be enough! But a piece of jewellery should go beyond the personal and therapeutic in making your own story-frame.“ [3]

Um die Anforderungen einer dahingehend erweiterten sozio-empathischen Identität in der Arbeit adäquat zu begegnen, soll Schmuck über die ästhetische Position hinaus zumindest ethisch-philosophische Aspekte enthalten, die unsere momentane Gesellschaft in irgendeiner Form reflektieren. Dafür ist auf einer Meta-Ebene ein impliziter Diskurs vonnöten zwischen der sozial-gesellschaftlichen Positionierung der Kunstschaffenden und deren jeweiliger Arbeit hinsichtlich Symbolik, Semantik und nicht zuletzt der eigenen Ikonographie. Wenn dieser Diskurs stattfindet, dann steht der Kunstschaffende sozusagen unter der impliziten (Selbst-)Verpflichtung, das eigene Schaffen und die eigenen künstlerischen Strategien zu hinterfragen, zu evaluieren und zu überarbeiten bzw. zu aktualisieren, damit auch künftig gesellschaftliche Bedeutung innerhalb eines zeitgenössischen Kontexts vorhanden sein kann.

Einfacher gesagt: Kunstschaffende reflektieren die sie umgebende Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Prozesse und Empfindlichkeiten, indem sie eine Arbeit schaffen. Die Arbeit erringt einen Platz innerhalb der Gesellschaft und verändert diese. Die Gesellschaft reagiert, die Kunstschaffenden registrieren die Reaktion und setzen ihre Erfahrung in weitere Arbeiten um. Dieser Prozess ist - da es ein Kreislauf ist - fast unerschöpflich und hat Charakterzüge eines „Perpetuum Mobile“. Das Ergebnis eines solchen Kreislaufs ist ein permanentes Update der Gegenstände, eine permanente Veränderung, die Teil der geistigen Evolution ist. Auf diese Weise bleibt Kunst - hier: Schmuck - in Verbindung zur Gesellschaft. Und zwar nicht vorrangig gelenkt von Marketingstrategien, merkantilen Werten oder modischer Kurzlebigkeit. Frei von ästhetischer Abstumpfung kann diese Herangehensweise Modelle liefern mit der impliziten Absicht, die fortwährende mentale, emotionale und/oder gesellschaftliche Evolution relativ kurzfristig erfassbar zu machen. Solche identitätsstiftenden Handlungsmodelle sind nicht nur brauchbar für Kunst-/Schmuckrezipierende sondern auch für Kunst-/Schmuckschaffende besonders ertragreich. Ohne solche Modelle sind die geschaffenen Werke rein akademisch und entbehren jeder Funktion bzw. hören so prinzipiell auf, Schmuck zu sein.

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[1] „Ich schäme mich dafür" - Die Zeit, Ausgabe 14, 2008, http://www.zeit.de/2008/14/Designer-Starck-14
[2] „Das Konsumierenden-Modell unterstellt, dass die Hochschule 'Dienstleistungen' anbietet. Seminare und Kurse werden nach den Bedürfnissen von Studierenden entwickelt, die sich selbst als Konsumierenden verstehen, die sich ganz bequem und ohne große Anstrengung eben wie beim Shopping ihren Abschluss holen.“ ("New Media Education and Its Discontent" von T. Scholz)
[3]  Ted Noten, ART AUREA 3/2010

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