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Weiche Typen, harter Kern – Warum Männer heute Perlenkette tragen

Traditionell stehen Perlen für weibliche Eleganz. Nun entdecken junge Männer sie als Modeaccessoire. Was steckt dahinter? Ein Beitrag von Sinan Reçber im Tagesspiegel vom 06.02.2022. Im Interview Prof. Theo Smeets aus der Fachrichtung Edelstein und Schmuck.

 

Sänger Harry Styles, Rapper ASAP Rocky und Pop-Superstar Justin Bieber teilen nicht nur ein Dasein als prominente Musiker – sie tragen auch gerne Perlenkette. Auf dem roten Teppich, der Bühne oder auf dem Selfie schmücken die weißen Kugeln ihren Hals. Und es dauerte nicht lange, bis der Modetrend auch hierzulande junge Männer begeisterte. Der Schmuck ist in den Sozialen Medien längst omnipräsent. So auch beim Berliner Konrad Grosz, 22 Jahre alt, blonde Mähne, 1,90 Meter groß. Mit seiner Statur erinnert er an einen Basketballer. Doch Grosz ist Influencer und Video-Blogger mit Zehntausenden Abonnent*innen auf Instagram und Youtube. In Videos von und mit ihm geht es um Eskapaden aller Art – Alkohol, riskante Wetten, Ohrfeigen, Partys. Wie er sich anzieht, was er trägt, beobachtet ein größeres junges Publikum.

An einem grauen Januartag in einem Berliner Café zupft Grosz mit schwarz lackierten Fingernägeln an der Perlenkette an seinem Hals. „Ich habe die Kette von einer Freundin, sie war ein Geschenk“, sagt Grosz. „Sie habe für sich und ihre Freunde welche gemacht, und da habe ich gefragt, ob ich auch eine haben kann.“ Dass sie ihm gehört, ist an fünf würfelförmigen Perlen mit Buchstaben zu erkennen – sie ergeben den Spitznamen „Konni“. „Für mich gehört die Perlenkette einfach dazu, wenn ich mich schick mache – sie fühlt sich gut an, sieht cool aus.“ Keine große Sache also?

Schmuck ist auch ein Symbol für Integrität
Für ein Schmuckstück, das über Jahrhunderte meist mit Frauen und Eleganz in Verbindung gebracht wurde, ist es dennoch eine bemerkenswerte Entwicklung. Das weiß auch Theo Smeets, Professor für Schmuckgestaltung an der Hochschule Trier. „Traditionell steht eine Perlenkette für Weiblichkeit – und gilt als Schmuckstück, das in der Schatulle der Großmutter zu finden ist. Der Trend bei jungen Männern hat wahrscheinlich viel mit den Genderdebatten zu tun“, sagt Smeets.

Dazu gehöre die Frage, welche Rolle ein Mann in der Gesellschaft spielen solle, welche Werte er verkörpere. „In einigen Filmen lässt sich zum Beispiel an dem Halsschmuck Gut und Böse unterscheiden: Der brutale Verbrecher trägt eine schwere Gold- oder Silberkette, die integre Anwältin eine Perlenkette.“ Mit dieser Symbolik schmücken sich auch gerne US-Politikerinnen wie Hillary Clinton oder Michelle Obama, Ehefrau und ehemalige First Lady des Ex-US-Präsidenten Barack Obama.

Begeistert von den Schmucksteinen zeigt sich auch Smeets’ Master-Student Erik Lijzenga. Zu Hause hortet der niederländische Designer eine große Perlenkettensammlung aus Materialien wie Plastik, Stein, Glas oder Holz. Lijzenga sagt: „Es hat in der Modegeschichte auch Jahrhunderte gegeben, wo Männer flamboyant angezogen waren.“ Der Trend gehe wieder in diese Richtung.

Medien und Gesellschaft sehen im Tragen der Perlenkette ein Statement, einen bewussten Bruch mit Geschlechternormen. Dessen ist sich auch Grosz bewusst: „Perlenketten zu tragen, geht gegen die Heteronormativität.“ Also gegen die Überzeugung, das biologische Geschlecht korrespondiere mit einer bestimmten Rolle (Macho), einer bestimmten Identität (Mann) und einer bestimmten sexuellen Orientierung (hetero). Der Video-Blogger bezeichnet sich selbst als eher heterosexuell.

Am Ende ist die Perlenkette für ihn aber nur eines von vielen Schmuckstücken in seinem Besitz, neben Ringen für Finger und Ohren. Sein Freundeskreis habe ausschließlich positiv darauf reagiert. „Kommentare gibt es nur von Großeltern oder Eltern, die dann fragen: Und trägt man das jetzt als Mann so oder wie?“ Grosz’ Theorie zum Trend: „Viele Künstler tragen Perlenketten vermutlich nur, weil sie bewusst anders sein und aussehen wollen.“ Ihren wohl berühmtesten Auftritt in der Kunstgeschichte hat die Perle nicht in den USA oder Deutschland, sondern in den Niederlanden: im Gemälde „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ – ein Werk des niederländischen Künstlers Johannes Vermeer um das Jahr 1665. Darin schmückt ein großer, silbrig schimmernder Perlenohrring das Ohr eines extravagant gekleideten Mädchens – blau-goldener Turban, goldfarbene Jacke mit weißem Kragen. Sie sieht den Betrachter mit leicht offenem Mund an, als setze sie gerade zum Sprechen an. Das ikonische Gemälde befindet sich heute im Mauritshuis in Den Haag und zieht jedes Jahr Hundertausende Bewunderer an.

So uniform Perlenketten heute auch schimmern, bestehen sie aus unterschiedlichsten Materialien. Kaum ein Naturerzeugnis symbolisiert Wohlstand so sehr wie natürliche Perlen aus Muscheln – eine biologische Rarität. Nur eine Handvoll Muschelarten ist in der Lage, Perlen zu bilden. Dringt ein Fremdkörper in das Innere ein und verletzt sie, löst das einen Abwehrprozess aus: Die Muschel schließt den Fremdkörper in einen Sack ein und überzieht sie mit einer Art Kleber aus Perlmutt und Proteinen. Über Jahre entsteht so die Perle.

Blau, Grün, Gelb und Rosa
Meist liegt ihr Durchmesser zwischen sieben und 12 Millimetern, 20 Millimeter überschreitet sie kaum. Dem Farbspektrum sind kaum Grenzen gesetzt: von Blau, Grün, über Gelb und Rosa bis hin zum edlen Weiß ist alles dabei. Den Nimbus der Seltenheit büßten Perlen erst relativ spät ein, als die Zucht Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam und die Produktion in den folgenden Jahrzehnten immer weiter anstieg.

Züchter*innen müssen den Muscheln dabei Fremdkörper einpflanzen. Angesichts des Aufwands bei der Perlenzucht wundern die Preise für manche Ketten kaum: So kann ein Strang von 10 Millimeter großen Akoyaperlen mehrere Tausend Euro kosten. Schmuckstücke mit außergewöhnlich großen Südsee- oder Tahitiperlen und Weißgold erreichen auch fünfstellige Preise.

Dieser Luxus hat nur selten etwas mit dem Schmuck gemein, den junge Männer kaufen und tragen. Konrad Grosz findet Perlenzucht ohnehin „sehr eklig“, für ihn würde ein solches Produkt nicht infrage kommen – er ist Veganer. Aber woraus bestehen seine Perlen? Grosz blickt an sich herunter. „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, aus welchem Material die sind – aber höchstwahrscheinlich einfach aus Kunststoff.“ Optisch sei der Look jedenfalls derselbe und solange man nicht auf das Plastik beiße, merke man den Unterschied zu echten Perlen ohnehin nicht.

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