In ihrer Ausstellung bei der renommierten Galerie Format in Oslo zeigt Ou Jiun-You ausgewählte Arbeiten aus ihrem Langzeitprojekt Yàn, das sie seit 2016 kontinuierlich weiterentwickelt. Der Titel – das chinesische Wort für Tuschstein – verweist auf das zentrale Material ihrer Arbeit: einen traditionsreichen Stein, der in der ostasiatischen Kalligrafie seit Jahrhunderten als Wasserträger und Reibefläche für Tintenstifte dient. Ausgehend von der Form und Funktion dieser Objekte untersucht Ou deren historische wie ästhetische Bedeutung.
In den frühen Arbeiten der Serie bearbeitete sie vorhandene Strukturen des Steins durch Löschen, Erhalten, Facettieren und Neuassemblieren – eine Herangehensweise, die zugleich spielerisch und präzise wirkt. Mit der Zeit entwickelte sich diese Praxis hin zu einer Art räumlicher Kalligrafie: Linien wurden zu Schatten, Volumen, Bewegung. Die Tuschsteine wurden in Einzelteile zerlegt, in neuen Konstellationen zusammengesetzt und so in Schmuckobjekte transformiert – Träger von Geschichten, Materialgedächtnis und künstlerischer Handschrift. Yàn ist dabei nicht nur eine Erkundung von Form und Material, sondern auch eine Suche nach den Möglichkeiten, die im fragmentarischen Arbeiten liegen – ein Bricolage-Prinzip, das der Komplexität der Steine gerecht wird.
Ou Jiun-You wurde in Taipeh, Taiwan, geboren und lebt heute zwischen Wien und Taipeh. Ihre Laufbahn begann sie mit einem Studium der Politikwissenschaften, bevor sie sich autodidaktisch den materiellen Künsten zuwandte. Ihr wachsendes Interesse an Stein führte sie 2015 nach Deutschland an die Hochschule Trier, Campus Idar-Oberstein. Weitere Stationen waren ein Erasmus-Aufenthalt in Tallinn sowie Arbeitsphasen in Karlsruhe. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Wien, wo sie ihre interdisziplinären, raumbezogenen Projekte weiterverfolgt. Trotz vielfältiger Ansätze bleibt der Stein ihr zentrales Medium – Yàn zeigt exemplarisch ihren präzisen und poetischen Umgang mit diesem Material.
Die Galerie Format in Oslo wurde 1991 gegründet und zählt heute zu den führenden Ausstellungsorten für zeitgenössisches Kunsthandwerk und Design in Norwegen. Mit einem klaren Fokus auf materialbasierte Künste versteht sich die Galerie als Plattform für innovative Positionen – zwischen Tradition und Aufbruch. Internationale Zusammenarbeit und die Förderung junger wie etablierter Künstler*innen stehen im Zentrum der kuratorischen Arbeit, ebenso wie das Ziel, bestehende Vorstellungen von Handwerk und künstlerischem Materialeinsatz zu hinterfragen.
Die Ausstellung ist noch bis 18. Mai in der Galerie Format in Oslo zu sehen.
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